Es ist oft wichtig, die Lokalisation eines Myokardinfarkts/einer Ischämie bestimmen zu können und daraus schließen zu können, welche Koronararterie verschlossen ist und wo genau sich die Okklusion befindet. Wie unten diskutiert, kann dies die Diagnose von Ischämie und Infarkt erleichtern und auch über das Management entscheiden. Zum Beispiel kann die Gabe von Nitroglycerin (zur Linderung von ischämischen Brustschmerzen) bei Patienten mit rechtsventrikulärer Ischämie/Infarkt zu einem hämodynamischen Kollaps führen. Daher ist es entscheidend, EKG-Zeichen von rechtsventrikulärer Ischämie/Infarkt zu erkennen. Die meisten Kliniker werden von diesem Wissen profitieren. Für Kardiologen – insbesondere interventionelle Kardiologen – ist dieses Wissen von größter Bedeutung, da sie in der Lage sein müssen, direkt zu bestimmen, wo sich die Okklusion der Koronararterien befindet (dies beeinflusst die Wahl des Koronarkatheters). Der englische Begriff „Culprit“ („der Schuldige“) wird verwendet, um die verschlossene Koronararterie zu bezeichnen. In den allermeisten Fällen ist es nur möglich, den Bereich von Ischämie/Infarkt (und damit das “schuldige” Gefäß) zu bestimmen, wenn das EKG ST-Strecken-Hebungen zeigt. Es gibt jedoch einige EKG-Syndrome (z. B. das Wellens-Syndrom, die De-Winter-T-Welle, globale ST-Strecken-Senkungen), bei denen es möglich ist, den Bereich von Ischämie/Infarkt trotz fehlender ST-Strecken-Hebungen zu bestimmen.
Die Koronararterien: ein kurzer Überblick
Die beiden Hauptkoronararterien stammen aus der Aortenwurzel (Abbildung 1):
- Die rechte Koronararterie (RCA) stammt aus dem rechten Sinus aortae.
- Die linke Koronararterie, auch Hauptstamm genannt (LMCA, left main coronary artery), stammt aus dem linken Sinus aortae. Das Hauptstamm ist kurz und verzweigt sich in die folgenden beiden Arterien, die die vordere und linke Seite des Herzens versorgen:
- Ramus interventricularis anterior (RIVA, engl. “left anterior descending artery”/LAD))
- Ramus circumflexus (RCX, engl. “left circumflex artery” (LCX))
Im Folgenden werden die englischen Bezeichnungen und Abkürzungen für die Koronararterien verwendet, was in der Regel auch der Ausdrucksweise in der Klinik entspricht.
Abbildung 1 ist wichtig, da sie die Koronararterien und ihre Beziehung zu den EKG Ableitungen zeigt. Beachten Sie, dass Abbildung 1 einen Rechtsversorgungstyp zeigt (d.h. die PDA stammt aus der RCA).
Dominanz der Koronararterien: Linksversorgungstyp vs. Rechtsversorgungstyp
Die Koronararterie, die die PDA (posterior descending artery/Ramus interventricularis posterior) abgibt, welche wiederum die untere Wand des linken Ventrikels versorgt, bestimmt den Versorgungstyp des Herzens (Abbildung 1). Ein Rechtsversorgungstyp bedeutet, dass die PDA aus der rechten Koronararterie (RCA) entspringt. Ein Linksversorgungstyp hingegen bedeutet, dass die PDA aus dem LCX (Ramus circumflexus/RCX) entspringt. Der Rechtsversorgungstyp ist bei weitem die häufigste anatomische Variante und tritt bei 90% aller Personen auf.
Abbildung 2 ist ebenfalls von großer Bedeutung, da sie die arterielle Versorgung des Reizleitungssystems zeigt.
Lokalisierung von Myokardinfarkt/Ischämie mit Hilfe des EKGs: Die Bedeutung der ST-Hebung
Es ist möglich, den ischämischen Bereich mit Hilfe des EKGs zu lokalisieren, wenn es ST-Strecken-Hebungen gibt. Der Grund, warum ST-Hebungen auf den ischämischen Bereich hinweisen, wurde bereits diskutiert (siehe ST-T-Veränderungen bei Ischämie). Kurz gesagt spiegeln die EKG-Ableitungen, die Strecken-Hebungen aufweisen, den ischämischen Bereich wider. Daher werden ST-Strecken-Hebungen in den Ableitungen V3-V4 durch eine transmurale Ischämie verursacht, die sich in der Vorderwand des linken Ventrikels befindet. ST-Strecken-Hebungen in den Ableitungen II, aVF und III sind auf transmurale Ischämie zurückzuführen, die sich in der unteren Wand der linken Ventrikels befindet. Tabelle 1 zeigt einen Überblick über die Beziehung zwischen den Ableitungen mit ST-Strecken-Hebungen und dem ischämischen Bereich. Eine ausführliche Diskussion folgt weiter unten.
Tabelle 1: Lokalisation des ischämischen Bereichs bei ST-Hebungsinfarkt (STEMI/STE-ACS)
Ableitungen mit ST-Hebungen | Betroffene Region des Myokards | Okkludierte Koronararterie (Culprit) |
---|---|---|
V1–V2 | Septal | Proximale LAD. |
V3–V4 | Anterior | LAD. |
V5–V6 | Apikal | Distale LAD, LCX oder RCA. |
I, aVL | Lateral | LCX |
II, aVF, III | Inferior | 90% RCA. 10% LCX. |
V7, V8, V9 (reziproke ST-Senkungen sind häufig in V1-V3 offensichtlich) | Posterolateral (auch als inferobasal oder posterior bezeichnet) | RCA oder LCX. |
Die Lokalisierung des ischämischen Bereichs bei NSTE-ACS/NSTEMI ist dagegen viel schwieriger, da die Ableitungen mit ST-Strecken-Senkungen das ischämische Gebiet nicht widerspiegeln. Die elektrophysiologische Erklärung dazu wurde bereits diskutiert (siehe ST-T-Veränderungen bei Ischämie). Daher bedeuten ST-Strecken-Senkungen in den Ableitungen V3-V4 nicht unbedingt, dass sich die Ischämie in der Vorderwand befindet. Daher wird allgemein gesagt, dass ST-Strecken-Senkungen (sowie T-Wellen-Inversionen) nicht zur Lokalisierung des ischämischen Bereichs verwendet werden können. Es gibt zwei wichtige Ausnahmen von dieser Regel, nämlich das Wellens-Syndrom und die De-Winter-T-Welle, die beide durch proximale Okklusionen der LAD verursacht werden und somit einen anterioren Infarkt/eine anteriore Ischämie verursachen.
Beachten Sie, dass die Diskussion bisher nur den linken Ventrikel betrifft. Die Eingrenzung des ischämischen Bereichs/Infarktbereichs bezieht sich auf die Wände des linken Ventrikels. Zum Beispiel meint der Ausdruck “anteriorer Infarkt” einen Infarkt der Vorderwand des linken Ventrikels. Entsprechend bezeichnet ein “inferiorer Infarkt” einen Infarkt der unteren Wand des linken Ventrikels. Ein rechtsventrikulärer Infarkt ist ungewöhnlich (er tritt auf, wenn die proximale RCA verschlossen ist). Abbildung 3 zeigt die Wände des linken Ventrikels und die EKG-Ableitungen, die diese Wände widerspiegeln.
Die Lokalisation des ischämischen Bereichs wird im Folgenden diskutiert.
Okklusion der rechten Koronararterie (RCA)
Bereiche, die von der rechten Koronararterie (RCA) versorgt werden
- Die rechten Koronararterie (RCA) versorgt den gesamten rechten Ventrikel über den ramus marginalis dexter (r. marginalis dx).
- Bei 90% der Personen gibt die rechte Koronararterie (RCA) die PDA (posterior descending artery, RIVP) ab, welche die untere Wand des linken Ventrikel versorgt. Wenn die RCA die PDA abgibt, wird diese anatomische Variante als Rechtsversorgungstyp bezeichnet (wenn die LCX die PDA abgibt, wird dies als Linksversorgungstyp bezeichnet).
- Bei Patienten mit Rechtsversorgungstyp versorgt die RCA den AV-Knoten.
- Bei 60% der Personen gibt die rechte Koronararterie (RCA) Äste an den Sinusknoten ab.
- Das posteriore Drittel des Ventrikelseptums wird von der rechten Koronararterie (RCA) versorgt.
- Arterien zur posterioren Wand (diese Arterien entspringen nach dem ramus marginalis dexter) können von der RCA (und ansonsten von der LCX) abgegeben werden.
Okklusion der rechten Koronararterie (RCA)
Eine Okklusion der RCA verursacht bei Personen mit Rechtsversorgungstyp einen inferioren Infarkt (d.h. wenn die RCA die PDA abgibt, was bei 90% der Menschen der Fall ist). Tritt die Okklusion proximal auf, kann dies die Blutversorgung des rechten Ventrikels beeinträchtigen und somit einen rechtsventrikulären Infarkt verursachen (dies ist ungewöhnlich). Eine Okklusion in der RCA kann auch einen Hinterwandinfarkt verursachen. Einzelheiten folgen.
Ein inferiorer Infarkt verursacht ST-Strecken-Hebungen in den Ableitungen II, III und aVF. Die ST-Hebung ist in Ableitung III am höchsten und die Mehrzahl der Fälle weist reziproke ST-Strecken-Senkungen in Ableitung aVL und I auf.
Inferiorer und posteriorer (inferobasaler) Infarkt — Ein Hinterwandinfarkt tritt auf, wenn die Arterien, die die Hinterwand versorgen, betroffen sind. Dies führt zu ST-Strecken-Hebungen in Ableitung II, III, aVF, V7, V8 und V9. Bei V1-V3, aVL und I werden reziproke ST-Strecken-Senkungen beobachtet. Es ist häufig, dass V1-V3 bei einem Hinterwandinfarkt ungewöhnlich hohe R-Zacken und positive T-Wellen zeigen (dies sind reziproke Veränderungen aufgrund von posterioren Q-Zacken bzw. T-Wellen-Inversionen).
Inferiorer Infarkt und rechtsventrikulärer Infarkt — Keine der Standardableitungen im 12-Kanal-EKG Leitungen reicht aus, um die im rechten Ventrikel auftretenden Verletzungsströme zu erfassen. Es ist ein häufiges Missverständnis, dass V1 und V2 die rechtsventrikuläre Aktivität aufzeichnen (V1 und V2 beobachten hauptsächlich die elektrische Aktivität des Ventrikelseptums). V1 und V2 können jedoch gelegentlich bei einem rechtsventrikulären Infarkt ST-Strecken-Hebungen aufweisen (die ST-Hebungen sollten in V1 höher sein). Um den rechtsventrikulären Infarkt zu nachzuweisen, müssen zusätzliche rechtsseitige Brustwandableitungen genutzt werden (V3R, V4R, V5R und V6R, die dann ST-Strecken-Hebungen aufweisen). Da ein rechtsventrikulärer Infarkt die Behandlungsmöglichkeiten beeinflusst, wird empfohlen, diese rechtsseitigen Brustwandableitungen bei Verdacht auf einen rechtsventrikulären Infarkt zu verwenden. Beachten Sie, dass ST-Strecken-Hebungen bei einem rechtsventrikulären Infarkt eine viel kürzere Dauer haben als bei einem linksventrikulären Infarkt (da die rechte Ventrikelwand viel dünner ist als die linke und daher der Infarkt schneller abgeschlossen ist).
Okklusion der LAD (left anterior descending artery, Ramus interventricularis anterior/RIVA)
Bereiche, die von der LAD versorgt werden
- Die LAD versorgt die beiden anterioren Drittel des Ventrikelseptums (diese Region wird als anteroseptale Region bezeichnet).
- Die LAD versorgt die große anteriosuperiore Wand (oft als Vorderwand bezeichnet) und den apikalen Teil der Seitenwand.
- Die LAD kann sich bis zur inferioren Wand erstrecken und ihren apikalsten Bereich versorgen (diese Region wird als inferoapikale Region bezeichnet). Gelegentlich ist die LAD sehr lang und versorgt einen erheblichen Teil der inferioren Wand; diese Art von LAD wird als Wrap-around-LAD (“Umwickelungs-LAD”) bezeichnet (weil sie sich um die Herzspitze wickelt).
Okklusion der LAD
Eine Okklusion der LAD verursacht einen anterioren Infarkt. EKG-Veränderungen und die Ausdehnung des Infarkts hängen stark von der Höhe der Okklusion ab. Je proximaler sie auftritt, desto größer ist der Infarkt und desto ausgeprägter sind die EKG-Veränderungen. ST-Strecken-Hebungen können in den Ableitungen V1-V6 und häufig aVL, I vorhanden sein (die beiden letzteren können betroffen sein, da die von der LAD abgegebenen Diagonalen den apikalen Teil der Seitenwand versorgen). Es gibt praktisch immer reziproke ST-Strecken-Senkungen in III und aVF.
Proximale Okklusion der LAD — Eine proximale Okklusion der LAD verursacht einen massiven Infarkt der basalen Region, der Vorderwand, der Seitenwand und des Ventrikelseptums. Je proximaler die Okklusion ist, desto mehr Ableitungen zeigen die ST-Strecken-Hebungen an. Eine Okklusion in der Nähe des ersten Septum- und Diagonalasts führt zu ST-Strecken-Hebungen in V1-V4, aVL und I sowie zu reziproken ST-Senkungen in II, III, aVF, -AVR und häufig in V5 (gelegentlich V6). Ein neuer Rechtsschenkelblock ist häufig. Eine Okklusion zwischen dem ersten septalen und dem ersten diagonalen Ast lässt normalerweise das Ventrikelseptum aus (keine ST-Strecken-Hebung in V1).
Distale Okklusion der LAD — Eine Okklusion distal der ersten Diagonalen und der ersten Septalen lässt sich die basalen Teile der Vorderwand aus. Der ST-Vektor ist stärker nach unten gerichtet. ST-Strecken-Hebungen sind in V2-V6 zu sehen. Es gibt keine ST-Strecken-Hebungen in V1, I oder aVL und keine reziproken ST-Strecken-Senkungen in II, III, aVF und -AVR.
Okklusion einer langen LAD („Wrap-around-LAD“) — Wenn die LAD sehr lang ist und einen erheblichen Teil der inferioren Wand versorgt, kann die Okklusion zu ST-Hebungen in den inferioren Ableitungen führen. Daher kann eine sehr distale Okklusion der LAD etwas trügerisch sein.
Bemerkenswert — Eine Okklusion der ersten Diagonalen kann zu ST-Strecken-Hebungen in aVL und I führen, ohne weitere nennenswerte ST-Strecken-Hebungen. Eine Okklusion im Hauptseptumast kann zu ST-Strecken-Hebungen in V1-V2 und zu reziproken ST-Strecken-Senkungen in V5, V6, II, III und aVF führen. Es sollte auch angemerkt werden, dass neuere Studien mit Hilfe von Magnetresonanztomographie gezeigt haben, dass das, was einst als Septuminfarkt angesehen wurde (d.h. eine Hebung der ST-Strecke in V1-V2), eher ein apikaler Infarkt ist.
Okklusion der LCX (left circumflex artery, Ramus circumflexus/RCX)
Bereiche, die von der LCX versorgt werden
- Bei 90% der Personen liegt ein Rechtsversorgungstyp vor, was bedeutet, dass die PDA von der RCA abgegeben wird. Bei diesen Personen versorgt die LCX nur den basalen und mittleren Teil der posterolateralen Wand. Wie bereits erwähnt, ist dieser Teil des linken Ventrikels mit den konventionellen Ableitungen des 12-Kanal-EKGs schwer zu erfassen.
- Bei 10% der Personen liegt ein Linksversorgungstyp vor, was bedeutet, dass die PDA von der LCX abgegeben wird. Somit versorgt die LCX bei 10% aller Personen die inferiore Wand.
- Die LCX versorgt bei 10% aller Personen den AV-Knoten.
Okklusion der LCX
Posteriorer (posterolateraler, inferobasaler) Infarkt — Wenn die LCX nur die posterolaterale Wand versorgt, führt eine Okklusion zu einem posterolateralen Infarkt (auch als posteriorer oder inferobasaler Infarkt bezeichnet). Die EKG-Veränderungen ähneln denen, die bei einem posterioren Infarkt aufgrund einer RCA-Okklusion beobachtet werden, nämlich ST-Strecken-Hebungen in V7-V9 und reziproke ST-Strecken-Senkungen in V1-V3, zusammen mit hohen R-Zacken und positiven T-Wellen in den gleichen Ableitungen (V1-V3).
Inferoposteriorer Infarkt – Wenn die LCX die PDA abgibt, führt eine Okklusion auch zu einem inferioren Infarkt und damit zu ST-Strecken-Hebungen in II, III und aVF (gelegentlich auch in aVL, I, aber selten V5-V6).
Okklusion der linken Koronararterie (des Hauptstamms, LMCA)
Da die linke Koronararterie (der Hauptstamm) der Ursprung von LAD und LCX ist, verursacht eine Okklusion hier einen massiven Infarkt mit einer sehr schlechten Prognose. Man muss eine Okklusion der LMCA vermuten, wenn in den meisten EKG-Ableitungen ST-Hebungen vorliegen (bei Personen mit Linksversorgungstyp betrifft dies auch die inferiore Wand).